Mittwoch, 4. Juli 2012

Rant: Deutschland zieht die Schwänze ein

Es ist schon verblüffend, wie scheinheilig und ignorant der deutsche Bürger sein kann.

Drei Wochen lang wurde mal wieder Flagge gezeigt. Es wurden Schwarz-Rot-Goldene Kleidungsstücke, Überzieher, Fähnchen und Vuvuzelas gekauft, um den Stolz für die Mannschaft und dadurch automatisch für das Land selbst zu symbolisieren, weil lautes Parolen rufen unter Alkoholeinfluss nicht ausreicht. Sämtliche Communities dienten wieder mal als Live-Ticker, welcher Spieler was hätte besser machen können oder welches Tor eben geschossen wurde, weil Böller und Raketen zünden und das Anschreien des Fernsehers nicht ausreichend sind. Mit entsprechenden Farben bemalte und eingekleidete Fans gingen in ihren einheitlichen Uniformen auf die Straße, jubelten lautstark, es entstand ein Gemeinschaftsgefühl, jeder ging im Gleichschritt, das Gehirn auf Leerlauf, alle mussten es wissen, wenn Deutschland spielt, egal ob es ihnen gefällt oder nicht.

Was der deutsche Fußballfan als normal betrachtet, sieht ein anderer Anteil mit Argwohn. Irgendwie ist da immer ein geschichtlicher Hintergedanke im Kopf, wenn Menschen blind einer Sache folgen, es bejubeln und durch einheitliche Symbole äußern, ohne es auch nur zu hinterfragen, was das für anders Denkende bedeuten könnte. Es geht ja auch schlecht anders. Schließlich dürfen auch alle anderen Länder ihre Flaggen stolz präsentieren, warum also nicht auch wir? Der lustige, laute Mann mit dem kleinen Bärtchen auf der Oberlippe ist längst Geschichte, wir haben aus unseren Fehlern gelernt, können also die Vergangenheit von der Gegenwart unterscheiden, oder?

Überall in Europa kommt es beim Fußball noch zu Rassismus, Übergriffen und stumpfen Parolen gegen andere Ländern, aber nirgends wird so empfindlich wie in Deutschland reagiert und das vollkommen zurecht. Hier gibt es immer noch Nazis, Rechtsradikale, die NPD, Thor Steinar und Ausländerfeinde, die aus der Vergangenheit nichts gelernt haben, diese sogar noch weiterleben. Klar lässt es sich trotzdem in Deutschland aushalten. Es hat durchaus seine Vorteile, aber selbst dann gibt es immer noch eben genannte Faktoren, denn schließlich steht man beim Flagge zeigen für alles, was das Land symbolisiert und nicht nur die Fußballmannschaft. Selten sieht man T-Shirts mit den Aufdrucken der einzelnen Spieler oder des Trainers, nein, es muss immer die Flagge sein und deren Symbolik steht nicht nur für die 11 Leute im Spielfeld, sondern für Nationalstolz, also das Gesamtpaket, mit all den Vor- und Nachteilen.

Fußballfans sind sich anscheinend drei Wochen lang dieser Sache überhaupt nicht bewusst. Es ist vollkommen gerechtfertigt für sie, über diesen Zeitraum stolz auf ihr Land zu sein, ohne ein Bewusstsein zu entwickeln, was es überhaupt bedeutet Flagge zu zeigen. Machen alle anderen auch und dann kann es nicht falsch sein. Danach aber werden die ganzen pro-deutschen Utensilien samt des Nationalstolzes wieder in der Kiste verstaut, bis zur WM in zwei Jahren. In der Zwischenzeit wird gewohnt über die Steuererklärung gemotzt, ist es wieder total schlimm, wenn Nazis einen Holländer beleidigen, er solle nach Hause gehen, sind unsere Politiker wieder die größten Idioten, Steuererhöhungen eine absolute Dreistigkeit, GEMA nervt, Bier ist warm und daran ist allein Deutschland schuld.

Aha.

Ich mag Fußball nicht. Ich finde es langweilig, wie 22 Sportler auf einem Feld hin und her rennen und lächerlich, wenn Spieler sich jedes Mal beim kleinsten Kopf-Aua zu Boden fallen lassen, sich das Bein halten und nach Mami schreien, während Kinder auf einem Bolzplatz gleich wieder aufstehen und mit Blut am Knie den Ball kicken. Trotz dieser Meinung akzeptiere ich jeden Fußballbegeisterten, der das Spiel wegen des Spiels selbst anschaut, nicht jedes Mal die Kiste anbrüllt, weil er der Meinung ist es besser zu können und darüber enttäuscht ist, wenn seine favorisierte Mannschaft verliert, aber dann keine Hassreden gegen andere Mannschaften publiziert, sondern sich sagt "Hey, da war Italien einfach besser als Deutschland". Der "richtige" Fußballfan trifft sich mit seinen Freunden, der Familie und Bekannten, diskutiert über die Spielzüge, feuert sein Lieblingsteam an und sieht das Spiel als das, was es ist: ein Spiel - und keinen Grund, etwas zu feiern, worüber er nach drei Wochen wieder motzt.

Wer der Meinung ist, Nationalstolz zeigen zu müssen, der soll auch immer seine Flagge aus dem Fenster hängen, sich immer als "Deutscher" outen und nicht den Schwanz einziehen, wenn es nach oder vor der EM/WM fragwürdig aussieht, weil es während dieser genauso fragwürdig ist.

Ich persönlich werde mir nie etwas Schwarz-Rot-Goldenes in die Wohnung hängen, denn dafür ist Deutschland viel zu korrupt, manipuliert und unreif. Es wird noch zu wenig nachgedacht, noch zu sehr auf veralteten Werten gepocht, noch zu scheinheilig behauptet, wir hätten an Erfahrung zugenommen, während zu viele Menschen immer noch mit dem Strom schwimmen und blind ihren oftmals dümmlichen Idealbildern folgen. Wer an einen Tag die Deutschlandfahne hochhält und "Schland" ruft und sich am nächsten Tag über das deutsche System beschwert, ist einfach nur ein scheinheiliger Ignorant.

Passend.

Cheers,
Chris

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